Virtuell zusammenarbeiten und zusammen arbeiten

Annas Unternehmen arbeitet seit Monaten im Homeoffice, Videokonferenzen und E-Mails sind das Fundament der Arbeit mit und für ihre Kunden und für die Teams. Im Ort zeigten sie stolz Flagge für ihre Solidarität zum „Flatten the curve“ mit Firmenlogo und Spruch auf ihren Mund-Nasenschutz-Masken „Gemeinsam – für uns alle!“. Im Juni hatten sich die Teams und die Führungsebene zum Picknick im Park hinter dem Firmengebäude getroffen.

Seitdem das Infektionsgeschehen wieder anzog, schwenkten sie bewusst in den virtuellen Modus über. Das Pinboard für ihre Aktivitäten außerhalb der Arbeit wurde intensiv genutzt. Yoga am Morgen, Austausch über Gartenpflege oder die Erfolge des Lauftrainings hielten sie über den reinen Arbeitskontext beieinander und stets kamen neue Ideen hinzu. Während der Ferien hatten sie virtuelle Kids-Sommercamps organisiert. Denn einige Schulen waren noch auf der Suche nach dem idealen Weg der digitalen Lernvermittlung. Das gemeinsame Resümee hatten sie den Bildungsdezernenten vorgestellt und auf Teile ihrer Prämien zugunsten von zehn Laptops für Schulen verzichtet. Regelmäßige Feedbacks im Stimmungsbarometer zeigten, dass sie ihren Zusammenhalt in der Krise als gestärkt wahrnahmen. Alles in allem kamen sie bisher gemeinsam gut durch die Krise.

Führungskultur auf dem Prüfstand

Wie die Pandemie ganze Gesellschaften auf den Grad ihres solidarischen Zusammenhalts, ihrer Lernfähigkeit und ihres Durchhaltevermögens prüft und herausfordert, so ist auch die Führungskultur in Unternehmen aufgefordert, ihre Tauglichkeit im disruptiven Wandel unter Beweis zu stellen. Dem adäquaten Umgang mit Stärken und Schwächen der Mitarbeiter kommt hier große Bedeutung zu.

Stärken werden im Krisenmodus umso wichtiger, weil sie das Fundament bilden, um Chancen zu erkennen. Bisher als Bausteine für den Erfolg verstandene und gefeedbackte Eigenschaften und Arbeitsweisen stärken das Selbstvertrauen und helfen, der besonderen Herausforderungen bewusst und mit klarem Blick zu begegnen. Mitarbeiter in jeder Rolle, die sowohl durch eigene Wahrnehmung wie durch Lob und Anerkennung im wertschätzenden Dialog verstanden haben, dass sie Herausforderungen gemeistert haben, mobilisieren Energie und haben Freude daran, auch die nächste Hürde engagiert zu nehmen. Stärken potenzieren sich also in ihren positiven Effekten. Das Bewusstsein der eigenen Stärken ermöglicht, auch beim Fahren auf Sicht Etappenziele zu erreichen.

Schwächen, die im „Normalmodus“ durch eigene oder systemische Stärken neutralisiert werden können, legen in Zeiten besonderer Herausforderungen hingegen überproportional an Gewicht zu und saugen so Stärken auf. Da ein Team immer nur so stark wie sein schwächstes Mitglied ist, steigt das Risikopotenzial. Mitarbeiter auf Schwächen oder Optimierungspotenziale im Rahmen eines konstruktiven 3-Stufen-Feedbacks anzusprechen, fällt Führungspersönlichkeiten schon im „Normalmodus“ häufig schwer. Vielleicht, weil sie während der Vorbereitung auf diesen Part in einen als unangenehm empfundenen Kontakt mit ihren eigenen Schwächen kommen. Oder ihnen fehlen die Mittel, um aus der Ansprache entstehende Wahrnehmungskonflikte erfolgreich aufzulösen und die Energie ins Tun zu transformieren.

Steigt die eigene Krisentemperatur einer Führungskraft durch die exogenen Rahmenbedingungen wie die aktuelle Unsicherheit einer Corona-Pandemie an, mangelt es an Reflexion. Werden zudem Spiegelungen vermieden, droht ihre wertschätzende Führung auf der Strecke zu bleiben. Stärken oder besondere Leistungen ihrer Mitarbeiter werden im worst case als „gegeben“ hingenommen und sind keiner Erwähnung wert. Schwächen werden entweder nicht angesprochen oder gar in überzogenem Maß.

Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Frustration bei den Mitarbeitern ansteigt, Engagement abnimmt und die Sinnfrage laut an die Tür klopft: „Warum mache ich diesen Job jetzt überhaupt (noch)?“. Kompetente Mitarbeiter finden offene Türen bei Unternehmen, die verstanden haben, dass sie gerade jetzt Talente und besonders befähigte, erfahrene Mitarbeiter gewinnen und an sich binden sollten, um Chancen in Erfolge zu transformieren.

Stärken wie Schwächen fokussiert zu feedbacken, ist also im Krisenmodus von zentraler Bedeutung. Zu oft führen Unaufmerksamkeit oder unklare Botschaften dazu, ein positives Feedback „mit einem Federstrich“ zu zerstören. Einem Mitarbeiter seine positive Entwicklung in einem Kompetenzfeld zu spiegeln, um dann beim Ausblick in die weiteren Potenziale in den anordnenden Führungsduktus im Einbahnstraßenmonolog ohne Punkt und Luftholpause zu verfallen, ist nur ein Beispiel dafür. Als coachende Führungskraft dem Mitarbeiter ein ums andere Mal zu berichten, wie man selbst es geschafft hat, führt nur zu schlechten Kopien.

So wird erworbenes oder gestärktes Selbstbewusstsein, das die Antriebsfeder für eigeninitiatives Handeln und Lernen ist, wieder unterhöhlt. Konsequenz: Irritation beim Mitarbeiter bis hin zur „anerzogenen Unsicherheit“. In Summe also auch das komplette Gegenteil des gewünschten Effekts.

Insbesondere Mitarbeiter in Führungspositionen ab der 2. Ebene, die um die Erfolgskritikalität ihres eigenverantwortlichen Engagements wissen, brauchen in Krisen neben qualitativ exzellentem, adressatengerechtem Feedback auch klare und im offenen Dialog vereinbarte Rahmenbedingungen ihres Handelns. Maximale Beinfreiheit als Zeichen des Vertrauens in ihre Führung. Damit sie eigenverantwortlich, situativ handeln und entscheiden. Wie sonst sollen sie als Führungspersönlichkeiten ihren eigenen Mitarbeitern vertrauensvolle Orientierung in Zeiten des permanenten Wandels und besonderer Herausforderungen geben?

Lebendige und anpassungsfähige Führungskultur

Annas Firma, die im virtuellen Teamwork und in der Digitalisierung intern wie extern schon vor der Coronakrise gut aufgestellt war, konnte auf diesem stabilen Fundament aufbauen.

Ihr Vorsprung gegenüber Mitbewerbern war das Ergebnis eines anfangs steinigen Wegs. Umsatzeinbrüche hatten die Firma nur einige Schritte vor den Abgrund geführt. Die Stimmung war unterirdisch, es wurde übereinander statt miteinander gesprochen. Zunehmende Fluktuation mit Abwanderung von essentiellem Know-how waren nur ein Ergebnis. Die Spirale drehte konstant nach unten. Kurz vor dem Tiefpunkt konnte der Kurs verändert werden.

In einem intensiven und von Partizipation aller Bereiche gestützten Restrukturierungsprojekt waren sie „bis vor Corona“ gut dreiviertel des Veränderungswegs gegangen. Die Zeit, die sie sich in der Umstrukturierung für eine Graswurzel-Bewegung zum Thema „New work-Policy“ nach den Pilotergebnissen zum Homeoffice bewusst gegeben hatten, zahlte sich nun umso mehr aus. Offener Dialog, den sie auch in konfliktbehafteten Fragen ohne faule Kompromisse durchgehalten hatten, ermöglichte ihnen nun eine besondere Achtsamkeit und Wertschätzung mit- und füreinander. Eine in jedem Stimmungsbarometer zu beantwortende Frage war, ob sie sich weiter im Bereich der Policy, also ihrer vereinbarten Kultur bewegten. Jedes „nein“ wurde begründet, Perspektiven im Dialog ausgeleuchtet und Missverständnisse geklärt. Maßnahmen priorisiert und konsequent umgesetzt: ihre Policy atmete und passte sich an. Und sie wurde umgetauft, denn aus „new“ war nun „Unsere Policy“ geworden.

Spot an auf Annas Team

Der erste Teamtag lag vier Monate zurück. Zusammen mit ihrem Coach hatten sich dem Teambuilding gewidmet. Wer waren sie, die einzelnen Teamer, was zeichnete sie aus? Wie sahen sie sich im Teamkontext? Wo verorteten sie ihr Team auf dem Entwicklungspfad? Und was konnten sie tun, um voranzuschreiten?

Das Arbeiten mit einem Modell zu den individuellen Persönlichkeitsausprägungen war erhellend gewesen. Der seit Annas Start als kommissarische Teamleiterin immer wieder aufflammende Konflikt mit ihrem Kollegen war an diesem Tag latent spürbar. Die Teamdynamik, angeregt durch die gemeinsame Erkenntnis, dass sie nur als Team erfolgreich sein würden, reduzierte die passiv-aggressive und persönliche Note seiner Widersprüche seitdem zumindest. In Vorbereitung auf ihren zweiten Teamtag prüften sie die vereinbarten Maßnahmen auf Erledigung und Wirksamkeit. Insbesondere die Kommunikationsspielregeln, die auch eine rollierende Moderatorenrolle in jedem Team Jour-Fixe inklusive Vor- und Nachbereitung beinhaltete, bewerteten sie alle als großen Erfolg. Sie war etabliert und führte zu angenehmeren und effizienteren Abstimmungen mit positiver Wirkung auf ihre Arbeitsergebnisse. Auch ihre Kundenkontakte hatten von diesem Perspektivwechsel profitiert. Ihre Erfahrungen stellten sie allen Teams im Unternehmen im nächsten Jour Fixe vor. Ihr Team-Troubleshooter wurde zunehmend durch das Team eingefangen. Anna hatte in ihrem eigenen Coaching gelernt, ihre Resilienz zu stärken und ihre Aufmerksamkeit bewusst zu dosieren.

Nun wollten sie mit ihrem Teamcoach in die nächste Phase übergehen und das in der virtuellen Teambuildingwelt. Die Arbeit mit dem Persönlichkeitsmodell wirkte wie ein nachhaltiger Booster. Das bessere Verstehen um- und füreinander war in ihrer täglichen Arbeit selbstverständlich geworden. Weil sie sich in ihrem Teamverständnis nun eine weitere Perspektive erschließen wollten, hatte Anna ihnen das Modell des „Denkens und Arbeitens rund ums Teamrad“ vorgestellt. Gerade beantworteten sie dafür jeder einen Fragebogen zur Vorbereitung. Ob sie alles „rund ums Teamrad“ am Start hatten, was sie ausbauen und wie sie das tun konnten, war Inhalt ihres zweiten Teamtags. Ferner wollten sie über ihre Erfahrungen in der virtuellen Zusammenarbeit sprechen, Methoden zur Verbesserung finden und sich damit für die nächste Zeit optimal aufstellen.